Gedichte gegen das Alltagsgrau...

Monat: Mai 2009 (Seite 1 von 2)

Paternoster

Im Paternoster meines Lebens,
vom Grund zum Ziel, vom Ziel zum Grund
bin ich gereist,
Kaskaden von Gedanken sind vergebens,
auf seinem Zahnrad Stund um Stund,
wie blind nur um sich selbst gekreist.

Selbst schnöder Milchkaffee am Morgen,
schmeckt beim Erwachen der Natur,
nach Nektar fein,
mein Schicksal ist im Satz verborgen,
ist Licht auf einer Sonnenuhr,
das Schatten wirft, um ganz zu sein.

Im Auf und Ab hör ich die Stimme,
sie schwört aufs Eigentlichste ein,
spricht aus dem Wind,
und will, dass ich mein Selbst erklimme,
statt mich der Flucht ins Man zu weihn,
wo Geister so verlockend sind.

Feldpost

Die letzte Kugel war verschossen,
der Abend lag im Pulverdampf,
am Tag war Blut genug geflossen,
das Fußvolk ruhte nach dem Kampf.

Erschöpft lagst Du auf deiner Liege,
voll Hoffnung auf den Feldpostbrief,
der dir erzählte von der Wiege,
in der ein neues Leben schlief.

Doch als er kam, hast Du geschlafen,
man legte ihn dir auf den Bauch,
dort lag er wie in einem Hafen,
bis in den ersten Morgenhauch.

Du weintest ob der frohen Kunde,
die Du geahnt, doch nicht gewusst,
und drücktest in der frühen Stunde,
die Post ganz fest an deine Brust.

Da fiel der erste Schuss am Morgen,
ging durch den Brief dir tief ins Herz,
der Krieg will selten Stunden borgen,
er schert sich nicht um Glück und Schmerz.

Ein kleines Stück aus jenem Schreiben,
drang mit der Kugel in dein Ich,
als wollt‘ es dir im Herzen bleiben,
und darauf stand: „Wir lieben dich…“

Späte Reue

Frustriert und meine Altersängste hegend,
seh ich die Zukunft schwarz am Firmament,
die Stirn in sorgenvolle Falten legend,
fühl ich mich sonderbar ambivalent.

Durchs Brennglas schau ich auf vertane Tage,
die früher Grundstoff für die Zukunft sind,
der ich verächtlich meinen Dienst versage,
weil ich den Ausblick so ernüchternd find.

So hock ich hier und grüße schmerzvoll jenen,
der ich vor Jahren hab zu sein versäumt,
will mich zurück in alte Zeiten sehnen,
in denen sich mein Schicksal anders träumt.

Ach Scheiße, wenn man in der Jugend wüsste
aus welchem Samen welche Frucht entspringt,
dann sparte man die Hatz auf schnelle Lüste,
weil die im Alter selten Wohlstand bringt.

Doch frag ich mich, als meines Glücks Stratege:
Was bringt dem Menschen früher Lustverzicht?
Fürs schöner Sterben fehlen die Belege;
sogleich erscheint mein Tun in neuem Licht.

In jungen Jahren heißt das Leben Fliegen
doch ist es oft ein ungedeckter Scheck,
lässt man sich allerdings von Furcht verbiegen,
ist für den Reichtum alle Freude weg.

Reime, Reime, Reime

Ich seh Reime, wenn ich schlafe,
zähl im Traum sie statt der Schafe,
lese sie auf der Toilette,
auf dem Knie in der Gazette.

Reime Verse und Konsorten
wachsen, sprießen allerorten,
selbst in meiner Unterhose
sitzen sie in der Phimose.

Auch in Hämorrhoidenfalten
scheinen sie sich festzuhalten,
und im Duft von Achselschweiß
wohnt ein Reim, wie ich wohl weiß.

In der Wohnung von Regalen
hört man freche Reime prahlen,
aus den Schränken, von den Bänken,
höhnen Reime, mich zu kränken.

In der Wanne, in der Brause,
fühlen Reime sich zu Hause,
springen aus der Blumenvase
ins Gesicht mir auf die Nase.

Sitzen breit auf meinen Stühlen,
treiben tot im Bier, dem kühlen,
liegen auf dem Abendbrot,
doch nicht ganz so mausetot.

Ich seh Reime in den Bäumen,
hör sie in der Brandung schäumen,
riech den Reim in Blüten wohnen,
seh ihn auf den Bergen thronen.

Reime treiben in den Flüssen,
schütten sich aus Regengüssen,
scheinen mich zu allen Zeiten
durch die Jahre zu begleiten.

Reime duften aus den Tannen,
wiegen sich mit gelben Grannen,
sind, gleich einer Pilzkultur,
eine Plage der Natur.

Reime knattern aus Traktoren,
jucken Schweinen in den Ohren.
Mit der Katze um die Scheunen
scheinen leise sie zu streunen.

Bauers Wachhund bei den Ställen
scheint den Reim herauszubellen.
Auf den Weiden allenthalben,
seh ich Rinder Reime kalben,

Kuh macht Muh und Kühe Mühe,
weckt der Reim mich in der Frühe,
lang bevor er in der Nacht,
statt des Schafs, mich müde macht.

Reime schwitzen aus den Stirnen,
treiben Scherze in den Hirnen,
jagen Strom durch Nervenbahnen
knistern in Geschlechtsorganen,

machen Männer aus Proleten,
zu beseelten Herzpoeten,
die die Welt, statt blind zu gehen,
wie mit neuen Augen sehen,

und die Frau, trotz ihrer Makel
wortreich preisen, welch Debakel,
weil aufs Weib, welch Hinterlist,
gar kein Reim zu machen ist.

One Night Stand

Sag mir noch deinen Namen,
bevor Du mich gleich küsst,
damit dein heißer Samen
nicht unpersönlich ist.

Erzähl mir was von Liebe,
das jede gerne hört,
weil sonst das Spiel der Triebe
mein braves Herz verstört.

Ich bin für alles offen,
und dass ich schlafen kann,
lass mich ein bisschen hoffen,
und sag, Du rufst mich an.

Hexenengel

Ich lag im Gras und hab den Wolken
im Halbschlaf einen Traum entmolken.
Am Himmel ritt ein Engelswesen
auf einem dürren Reisigbesen.

Ein Antlitz, das die Augen weidet,
nach Hexenart in Schwarz gekleidet,
so ritt sie durch die Kokosflocken
und schien mich süß emporzulocken.

Ich wär zu gern hinaufgestiegen,
mit ihr durch ihre Welt zu fliegen,
doch sah inmitten weißer Kleckse,
ich statt des Engels, mehr die Hexe.

Ich hab mich kurzerhand hernieden
fürs kleine Glück im Grün entschieden.
Den Hexenengel, hoch im Blauen,
find ich auch in den Erdenfrauen.

Und falls mich eine Hexe rief,
fall ich im Zweifel nicht so tief…

Schritte

Du hast deine Schritte im Sand,
fein säuberlich in den Schnee kopiert,
mich an deiner liebenden Hand,
getreulich durch dieses Jahr geführt.

Wir gingen durch raschelndes Laub,
der Wind hat leis unsern Schritt verweht,
im Frühling, da lieben wir taub,
weil unser Fuß in den Blüten steht.

Die Liebe ist grundloser Schritt,
ein wogender Gang durch das Leben,
Du hältst mich und ich halte mit,
bis wir in die Ewigkeit schweben.

Revolution!

Im Paris der alten Stände
marodiert Gevatter Tod,
wüten Seuchen, toben Brände,
sterben Kinder ohne Brot.

In den Schlössern, volle Teller,
doch das Volk am Hungertuch,
in den Kirchen, Muskateller,
spritzt der Wein auf’s Liederbuch.

Wo die alten Herrscher prassen,
hockt der Hunger auf dem Dach,
treibt die Bürger in die Gassen
Angst und Hunger halten wach.

Karzinome hinter Stirnen
höhnen den Vernunftgebrauch,
quellen wahnhaft aus den Hirnen
in urbanen Hungerbauch.

Metastasen aus den Gossen
wuchern in die Oberstadt,
wo einst Milch und Honig flossen,
frisst der Mob sich tödlich satt.

In den leeren Hungerdärmen
atmet eine blinde Wut,
als die Horden burgwärts schwärmen
auf der Jagd nach blauem Blut.

Wie den Kuchen auf den Tischen,
raubt das Volk den Herrscherthron,
nährt sich nun von Fleisch und Fischen,
sprengt die Klammern seiner Fron.

Lässt die alten Stände sterben,
richtet sie auf dem Schafott,
stürzt den Adel ins Verderben,
schickt den Klerus heim zu Gott.

Doch der Blutsturz frisst die Seinen,
spült die Einheit jäh davon,
bis die Ströme sich vereinen,
hoffend auf Napoleon.

Und so dreht der alte Kreisel
sich im Wirbel neuer Zeit,
doch das Neue bleibt die Geisel
strudelnder Geschichtlichkeit.

Eile, Weile

Eile, eile durch das Leben,
raffe, was zu raffen ist,
ohne Mitleid, ohne Geben,
weil Du nicht unendlich bist.

Weile, weile in den Dingen,
nutz die Zeit und schenke dich.
Soll dein Sein dir wohl gelingen,
gib, und Du währst ewiglich.

Haste, haste bis zur Bahre,
sieh im Menschen nie den Zweck,
weih dem Mammon deine Jahre,
was Du brauchst, nimm andren weg.

Raste, raste in den Zeiten,
such den Rhythmus in der Welt,
lass dich durch die Stunden gleiten,
lieb die Liebe, nicht das Geld.

Rase, rase, bleib nicht stehen,
füll vor andern deinen Bauch.
Weil die Tage schnell verwehen,
ist dein Leben Schall und Rauch.

Reise, reise, statt zu rasen,
bleib ein Freund, geh nicht allein,
sei der Igel unter Hasen,
lass dein Leben wertvoll sein…

Spät-68er

Schmeiße Mülltonnen
made in China
in Schaufenster
von Discountern
die Dritte-Welt-Artikel
ohne GS-Siegel
verscherbeln.

Scheiße,
hab mir dabei
ein Loch
in meine
Levis gerissen.

Gestern bei Shell
noch’n Liter
Sprit gekauft
für die Demo,

aber zumindest
in der Flasche
war vorher
ein Liter Milch
vom Biobauern.

Diogenes

Ein Philosoph in alter Zeit,
der lebte in der Tonne,
war ohne Gier und ohne Neid,
und döste in der Sonne.

Von jenem schieren Sonderling,
da hören wir Geschichten,
dass er zumeist zum Marktplatz ging,
die Notdurft zu verrichten.

Dort legte er auch Hand an sich,
um seiner Lust zu frönen,
und fand das jemand widerlich
dann hörte man ihn höhnen.

Bei Tag nahm er Laternenlicht,
und wollte es begründen,
so sinnlos sei die Lampe nicht
will man den Menschen finden.

Gefragt nach seiner Heimatstadt,
wohin die Götter ihn gestellt,
sprach er, was sehr verwundert hat
“Ich bin ein Bürger dieser Welt.”

Er sah mal wen mit hohler Hand,
am kühlen Bach sich laben,
warf seinen Becher in den Sand
und wollt ihn nicht mehr haben.

“Wie solln wir Dich begraben?”
hat man ihn einst gefragt.
„Kein Grabmal will ich haben”,
hat er darauf gesagt.

“Dort wo ich sterbe lasst mich sein
Ihr müsst mich nicht bedecken
zum Schutz vor Tieren mein Gebein
will ich nur einen Stecken.”

“Was willst Du mit dem Stecken, Narr?
Du kannst ihn tot nicht führen” –
“So werd ich” sprach der Weise da,
“auch ihren Biss nicht spüren.”

Ein großer Herrscher wollte gern
des Weisen Gier entfachen
drauf bat er still und leis den Herrn
ihm Platz im Licht zu machen.

Diogenes mag Beispiel sein
von alters her, in alle Zeit,
es braucht nicht viel zum Glücklichsein
übt man sich in Genügsamkeit.

Frühling reziprok

Im Frühling packt mich kalt das Grausen,
er ist so kühl und wechselhaft,
obwohl poetisch oft Naturbanausen
ihn loben, weil er neues Leben schafft.

Ein wirres Bunt verwirrt die Sinne,
zerstört die weiße Winterpracht,
macht boshaft geil, und flach die schönste Minne,
weil uns im Leib der blinde Trieb erwacht.

Es zwitschern Vögel wie die Blöden,
dass man nicht lange schlafen kann,
aus Chlorophyll geschöpfte grüne Öden,
ziehn Weichgespülte in den Zauberbann.

Die Welt erstickt im Meer von Blüten,
die Knospen reißen auf ihr Maul,
im Garten packt den Mann ein wildes Wüten,
gleich einem hoch gedopten Ackergaul.

Es treibt das Weib zur Pediküre,
das Haar wird albern neu frisiert,
der Fuß vertäut in sündhaft teure Schnüre,
als sei er plötzlich zum Paket mutiert.

Der Lenz hat viel zu viele Reize,
sie gleich zu preisen ist ein Fluch,
weshalb ich auch mit Komplimenten geize,
am stärksten spür ich ihn im Widerspruch.

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