Gedichte gegen das Alltagsgrau...

Kategorie: Kritisches (Seite 1 von 3)

Der Speaker

Es springt ein Speaker auf die Bühne,
wohl mehr ein Zwerg als eher Hüne.
Doch rennt er rum und intoniert,
als sei ein Riese einmarschiert.

Er spricht von Neuro, Mumm, Aktion!
Von heißem Herz, Inspiration!
Er geißelt, hypt, die Wahn-Eloge
aufs Hirn verrät: Der ist auf Droge.

Er zuckt und zetert viele Male
und steigert sich bis zum Finale:
„Ihr müsst euch im Erfolg verbeißen
und für den Job den Arsch aufreißen.

Ihr müsst echt können, nicht nur kennen
und müsst für eure Arbeit brennen,
sollt selbst im grellsten Feuerschein
die hellste aller Fackeln sein!“

Das Plenum schluckt und schaut betreten:
„Wer hat den Clown bloß hergebeten?“
Denn vor ihm sitzt die Creme des Landes,
des deutschen Feuerwehrverbandes.

 

ierend

Schon wieder wirkt was inspirierend,
ist statt nur gut, spektakulär.
heißt stimulierend, transformierend,
elektrisierend und denkt quer.

Schon wieder dünkt was aktivierend,
zudem noch hip und visionär.
wirkt animierend, motivierend,
das scheint mir sprachlich pubertär.

Ich finde ziemlich irritierend:
So viel soll toll sein? Eine Mär!
Kaum tanzt ein Gaukler missionierend,
turnt jeder Lemming hinterher.

Facebook

Facebook macht die Erde bunter,
weil ein jeder jeden kennt,
jeder lässt die Hosen runter,
alle werden transparent.

Von den Chefs bis zu den Fräsern,
alle geben alles preis,
Partner, Freunde – alle gläsern,
hoch vom Teen zum Tattergreis.

Wir sind alle groß und prächtig
in der virtuellen Welt,
jeder Zwerg ist stark und mächtig,
jeder Feigling ist ein Held.

Bits und Bytes sind Haut und Knochen,
jeder wird zum Avatar.
Fleisch und Blut? Des Herzens Pochen?
Seele? Plugin! (downloadbar).

Facebook macht uns alle toller,
schön und intellektuell,
attraktiver, würdevoller,
jede Funzel leuchtet hell.

Ach was wär die Erde öder
ohne Facebooks schönen Schein,
kaum etwas ist wirklich blöder
als real im Wald zu sein.

Alle twittern, alle chatten,
jeder pflegt sein Kunstprofil
Heiße Liebe in den Betten?
Sex? Das gibt’s im Onlinespiel.

Keiner hat mehr echte Freunde,
nur per E-Mail spricht das Paar.
Für die WWW-Gemeinde
hält der Papst ein Webinar.

Heute bin ich einmal mutig,
heute geh ich vor die Tür;
doch kaum draußen – alles blutig:
Ich bin viel zu blöd dafür.

Flugs hinein, der Rechner wartet,
schnell zu Maus und Tastatur
draußen ist wie Welt entartet,
widerlich ist die Natur.

Nur die Onlinewelt ist ehrlich,
nur die Matrix ist real.
Wild, bedrohlich, brandgefährlich:
Ds Reale ist brutal.

Facebook kann allein uns geben,
machen wir uns da nichts vor,
Liebe, Freundschaft, wahres Leben,
Spaß und Glück am Monitor.

Hurenwelt

Huren schenken keine Liebe,
ihre Küsse kosten Geld.
All die großen Bankbetriebe
ähneln einer Hurenwelt.

Keinen Cent für gute Taten,
nur das Böse wird belohnt,
weil die Gier nach Golddukaten
über allem andern thront.

Priester segnen Feldhaubitzen,
Banker zahlen für den Krieg,
wenn sie in der Kirche sitzen
sterben andre für den Sieg.´

Frömmeln, beten, gierig raffen,
grinsend voller Hinterlist,
Frieden schaffen mit mehr Waffen,
bis die Welt zuschanden ist.

Vergesslich

Gott erschuf aus großer Leere,
eine Welt voll schöner Sachen,
grüner Wälder, blauer Meere,
um sein Abbild satt zu machen.

Doch vergaß er wohl beim Schöpfen,
all die Leere in den Köpfen…

Irgend…

Irgendwer schlägt immer Frau und Kinder.
Irgendwer klaut immer fremder Leute Geld.
Irgendwer lebt stets als übler Menschenschinder.
Irgendwer führt immer Krieg auf dieser Welt.

Irgendwo stirbt immer wer am Mangel.,
Irgendwo bricht immer eine Seuche aus.
Irgendwo hängt stets ein Schuldner an der Angel.
Irgendwo stürmt immer die Armee ein Haus.

Irgendwann trägt jeder Bürger Waffen.
Irgendwann kommt jede Bombe durch den Zoll.
Irgendwann hab ich vom rücksichtslosen Raffen,
dem Töten und dem Leid die Schnauze voll.

Alltag

Der Alltag liegt wie Blei in meinem Schuhregal.
Der knitterfreie Anzug schaukelt stumm
am Galgenbügel. Wie ein enges Futteral,
zwingt mich mein Leichenhemd ins Vakuum.

Der Strick um meinen Hals raubt mir die Luft.
So fahr ich, Brust und Bauch voll Erzgestein,
mit andern Todgeweihten in die Gruft,
im Trauerzug – zum letzten Stelldichein.

Abschiedsbrief

Mutter,
wo hast Du mich unter Schmerzen hingeboren,
in welche Vorhofhölle, welches Land der Qual,
warum hast Du mich in dies Nichts im Nichts verloren,
in dieses Dasein abseits jeglicher Moral?

Mutter,
hast Du wirklich nichts geahnt von diesen Kriegen,
von dieser Mordlust, die uns wütend überstürmt,
von Menschlichkeit, die sich verneint in schalen Siegen,
und sich entfremdet in den Leichenhaufen türmt.

Mutter,
zitternd krampfe ich mit Wiederkinderhänden
den letzten Brief auf einen feuchten Rest Papier,
hab auch für dich gekämpft in diesem Blutverschwenden,
Du warst mein Anfang, doch am Ende fehlst Du mir.

Solidarität

Letztens fiel, beflissen mauernd,
Fritz der Maurer hoch vom Haus,
unten räumt, fast schon bedauernd,
Stefan dessen Hosen aus.

Manni singt nach Leibeskräften,
mimt im Kirchenchor den Pfau,
doch hausiert mit seinen Säften
oft und gern bei Fritzes Frau.

Nachts rammt Willi sturzbetrunken,
Fritzes neuen PKW,
flüchtet ohne einen Funken
Reue mit dem Sportcoupe.

Paul, (Abteilung für Kredite),
kündigt Fritzes Hypothek,
leiht ihm stolz die erste Miete,
sieht’s als echtes Privileg.

Alle stehn im Krankenzimmer,
tröstend, doch voll Hinterlist,
und beschwören, das schon immer
Männerfreundschaft wichtig ist.

Klischee

Diese stete Selbstkontrolle,
dieser Hang zur sturen Pflicht,
dieses sprachlich Salbungsvolle,
dieses Streben hoch zum Licht,

dieser Spaß am Aufmarschieren,
diese harte Akribie,
diese Lust am Füsilieren,
dieses Lob der Infantrie,

diese Last am faustisch Schweren,
dieser völkisch blinde Stolz,
diese Pflicht zum Tellerleeren,
dieses Glück in Eichenholz,

dieser Mut zum tiefen Denken,
diese Pracht im Dichterwort,
dieser Drang zum Weltenlenken,
dieser Fluch im Völkermord,

diese Neugier auf das Fremde,
diese Angst vor ebendem,
dieser Arbeitsschweiß im Hemde,
dies Zerreden beim Problem,

dies Vermassen in Tumulten,
diese Freude am Verein,
dies Dozieren von den Pulten –
„deutsch“ heißt ein Klischee zu sein…

verschollen

So manchmal machen Worte, was sie wollen
ganz gleich, welch Sinn ich sorgsam in sie leg.
Mir scheint, ihr Sinn ist oftmals schon verschollen,
kaum sind sie ausgesprochen auf dem Weg.

Was ich auch sag, man scheint zuerst zu hören,
nur was genehm und nicht zu schwierig klingt,
Kritik scheint manche derart zu empören,
dass nie ein Ton in ihre Seele dringt.

Man nickt und hat kaum später schon vergessen,
was ich gesagt hab, oder was gemeint,
schaut irritiert und kann wohl kaum ermessen,
wie sehr ich leide, wenn man mich verneint.

Drum schweig ich künftig wie ein Grab und schmolle,
den Buckel krumm, lad ich zum Rutschen ein,
hab ich zu meckern, muss es wohl die volle
verbale Ladung auf dem Schriftweg ein.

unermesslich

So viel an Menschen lässt sich messen:
was sie vertrinken, was sie essen,
wir groß der Wuchs, wieviel sie wiegen,
wie schnell der Lauf, wie hoch sie fliegen –
doch eines geht bestimmt daneben:
das Maß der Dummheit anzugeben,
weil die, das weiß der Realist,
bei vielen unermesslich ist…

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