Gedichte gegen das Alltagsgrau...

Monat: September 2010

Widerhall

Ich habe Fenster, gänzlich ohne Scheiben,
ich bin ein Haus, doch fehlt zum Hof die Tür,
in mir will keine andre Seele bleiben,
es ist zu kühl und fremd in mir dafür.

Auf meinem Dachstuhl fehlen manche Ziegel,
das Mauerwerk ist feucht, der Keller kalt,
in meinem Wohnraum schützt ein schwerer Riegel
mich vor dem Brausen der Naturgewalt.

Ich höre Schritte auf der morschen Stiege,
sie knarzt und knarrt, ich höre, wie es klopft,
ich spüre durch die Trance in der ich liege,
wie mir das Herzblut von den Wänden tropft.

Ich stöhne auf, der Wind pfeift durch die Räume,
der Regen prasselt auf mein leckes Dach,
gespenstisch wiegen sich im Sturm die Bäume,
ein greller Blitz zuckt auf, ich werde wach.

Mein Riegel klemmt nach all den schweren Jahren
voll Niedergang und tödlichem Verfall.
Von deinen Schritten, die mir Hoffnung waren,
bleibt nur ein abschiedsschwerer Widerhall.

Vergesslich

Gott erschuf aus großer Leere,
eine Welt voll schöner Sachen,
grüner Wälder, blauer Meere,
um sein Abbild satt zu machen.

Doch vergaß er wohl beim Schöpfen,
all die Leere in den Köpfen…

Irgend…

Irgendwer schlägt immer Frau und Kinder.
Irgendwer klaut immer fremder Leute Geld.
Irgendwer lebt stets als übler Menschenschinder.
Irgendwer führt immer Krieg auf dieser Welt.

Irgendwo stirbt immer wer am Mangel.,
Irgendwo bricht immer eine Seuche aus.
Irgendwo hängt stets ein Schuldner an der Angel.
Irgendwo stürmt immer die Armee ein Haus.

Irgendwann trägt jeder Bürger Waffen.
Irgendwann kommt jede Bombe durch den Zoll.
Irgendwann hab ich vom rücksichtslosen Raffen,
dem Töten und dem Leid die Schnauze voll.

Dich, nur dich, mein Schatz

Seit ich dich kenne lach ich wie auf Drogen,
mir tief im Brustkorb tobt ein wilder Takt,
in einen sahnig süßen Sog gezogen,
hat mich der Wahn am Kragensaum gepackt.

An meinem Himmel jauchzt ein Chor von Geigen,
ein Starkstromkabel zuckt in meiner Brust,
Hormone tanzen lüstern einen Reigen,
ich seufze oft - und meistens unbewusst.

Im Großhirn ein Bewuchs von Gladiolen,
versüßt mir Lust auf dich den langen Tag.
Ich springe wie ein frisch geschlüpftes Fohlen,
weil ich vor Freude nicht mehr sitzen mag.

Lang vor dem Abend denk ich an die Nächte,
in meinem Beinkleid mangelt es an Platz.
Mich zwingen wilde und geheime Mächte
Dich stets zu küssen, Dich, nur dich, mein Schatz!

Froschkönig modern

Auf deinem Busen saß ein Frosch
und quakte: „Lass die Finger
von dieser schönen Frauenbrust,
das sind jetzt meine Dinger!“

Als ich darauf den Frosch verdrosch,
floh er von deinen Brüsten,
zurück ins Glas und träumte dort
von unerfüllten Lüsten.

Ich griff beherzt nach deinem Fleisch,
Du schlugst mir auf die Pfoten:
„Der Frosch ist ein verwunschner Prinz.“
Die sind dir jetzt verboten!“

Du nahmst den Lurch und küsstest ihn
voll Inbrunst auf die Lippen,
er wuchs, er schwoll, es machte Peng!
Er sprengte seine Rippen.

Da hockte nun dein stolzer Prinz
und reckte seine Glieder.
Er sah dich an und sagte „Quak!“
und hüpfte auf und nieder.

Ob Frosch, ob Prinz, wer weiß das schon,
kein Mann ist ohne Macken,
und willst Du einen echten Kerl,
musst du dir einen backen.

Zu früh

Du regst Dich. Tief in deinem Haar
vergrab ich meine Nase.
Dein Duft versetzt ihr Flügelpaar
in bebende Extase.

Dein Seufzen keimt in meinem Bauch
zu allergrößten Flausen.
Sie steigen auf wie feiner Rauch,
bis sie mein Stammhirn zausen.

Mein Kopf erwacht und wägt kurz ab:
„Zu früh? Soll ich es wagen?“
Die Flausen sausen wild hinab,
schon muss ich nichts mehr sagen.

Du schmiegst dich an mich, lächelst still
beim Anblick der Präsente:
„Nicht bös sein, weil ich noch nicht will,
trotz DIESER Komplimente.“

Schnödland

Ich will dürfen, nicht nur müssen,
schmatzen, schlürfen, lüstern küssen,
doch ein jegliches Begehren
will die Welt mir stur verwehren.

Jammertal der Lustvernichtung,
Ödland schnöder Fremdverpflichtung!
Jedes noch so schöne Wollen,
ist verpönt im blöden Sollen.

Schmerzlich macht man mir bewusst:
Mensch, Du darfst nur, was Du musst!

Nur wenn dringlich an der Luft,
mich der Darm geschäftlich ruft,
und im Bauch mein Leibgericht
schmerzhaft in den Seiten sticht:

muss ich, aber darf ich nicht!

Alltag

Der Alltag liegt wie Blei in meinem Schuhregal.
Der knitterfreie Anzug schaukelt stumm
am Galgenbügel. Wie ein enges Futteral,
zwingt mich mein Leichenhemd ins Vakuum.

Der Strick um meinen Hals raubt mir die Luft.
So fahr ich, Brust und Bauch voll Erzgestein,
mit andern Todgeweihten in die Gruft,
im Trauerzug – zum letzten Stelldichein.

Ziellos

Was Du kannst, das willst Du nicht,
was Du willst, das kannst Du nicht.
Was Du musst, soll ganz allein
Inhalt Deines Lebens sein.

Was Du suchst, das kriegst Du nicht,
was Du kriegst, das suchst Du nicht.
All die Dinge, die Du hast,
sind statt Freude, Dir nur Last.

Was Du liebst, das mag Dich nicht,
was Dich mag, das liebst Du nicht,
bis Du Dir ganz sicher bist,
dass Dein Glück unmöglich ist.

Sterben willst Du jetzt noch nicht,
Leben kannst Du scheinbar nicht.
Ziellos fährt Dein Lebensboot,
denn des Käptns Herz ist tot.

Morgenmüde

Der Morgen naht. Mir mischt sich in die Atemzüge
der neue Tag. Er quillt in harten Dämmerschüben
durch das Skelettgeäst der kahlen Bäume
und fräst sich in die letzten müden
fieberschweren Halbschlafträume.

Im Innenauge spielt ein Film aus frühen Jahren,
als wir beseelt von Neugier in den Wiesen saßen.
Die Leinwandlider flackern. Die Pupille
rast wie ein Formel-1-Rennwagen
röhrend durch die Angst der Stille.

Am grauen Himmel quietschen abgewrackte Geigen.
Verschlafne Seelen, die zum Tagwerk eilen,
sehn einen Sternenspiegel der zersplittert,
wie ne kaputte Windschutzscheibe
blind im faden Äther zittert.

Ich wache auf. Die Sonne presst sich durch die Läden.
Ihr fahles Licht zerfällt im Wundsee meiner Tränen
ins Spektrum, und ein blasser Regenbogen
steht stumm im Raum. An Puppendrähten
werde ich ins Nichts gezogen.

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